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Sándor Radó

Aufgeflogen!

Sándor Radó

Worum geht es?

Nachdem im Zweiten Weltkrieg bereits zahlreiche sowjetrussische Agentenringe in westeuropäischen Ländern von der deutschen Funkabwehr aufgespürt und neutralisiert worden waren, schlug die grosse Stunde von «Dora». Als Leiter der «Roten Drei» führte der gebürtige Ungar Sándor Radó ein Spionagenetz, welches die Zentrale in Moskau von Genf und Lausanne aus über die Machenschaften der Achsenmächte und ihrer Verbündeten während des Zweiten Weltkriegs informierte. Wie ist Radós Rolle zu bewerten und inwiefern musste die Schweizer Neutralität (wissentlich) aufgegeben werden, um dieses Netz möglichst lange operieren zu lassen?

QUELLEN UND MEINUNGEN

Der historische Kontext von Radós Agententätigkeit

Obwohl die ersten nachrichtendienstlichen Spionagenetze der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa (die Gruppen der sogenannten «Roten Kapelle» in Deutschland, Belgien, Frankreich etc.) bereits in der ersten Kriegshälfte ausgehoben und zerschlagen wurden, konnten mehrere Agentennetze von der Schweiz aus bis Ende 1943 als Spionageorganisation der Sowjets agieren. (Von Schramm, S. 112)

 

Ironischerweise wurde gerade die Schweiz, die bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs selbst nur auf einen unzulänglichen Nachrichtendienst zurückgreifen konnte, insbesondere zwischen 1941 und 1943 zu einem wichtigen Umschlagplatz für Geheiminformationen, der – unter anderem, jedoch nicht ausschliesslich – vom Deutschen Reich und von der Sowjetunion genutzt wurde. (Von Schramm, S. 87)

 

Bereits im Frühling 1939 wurde in der Schweiz eine «Verordnung über die Handhabung der Neutralität für den Fall kriegerischer Verwicklungen auf dem europäischen Kontinent» vorbereitet. Dieser Verordnung zufolge waren unter anderem die folgenden Tätigkeiten untersagt: «[…] vom Gebiet der Schweiz aus eine feindselige Handlung gegen einen Kriegführenden vorzubereiten, zu unternehmen, zu unterstützen oder irgendwie zu begünstigen. Insbesondere […] Organisationen zu militärischen Zwecken eines Kriegführenden zu bilden oder vorzubereiten, Anlagen zur Nachrichtenübermittlung zugunsten eines Kriegführenden zu errichten oder zu betreiben […].» (Von Schramm, S. 226)

 

Die geografische Lage macht deutlich, wie riskant die nachrichtendienstliche Spionagetätigkeit war: Die Schweiz war umschlossen von Deutschland, das auch Frankreich besetzte, und dem ebenfalls faschistischen Italien, das über umfangreiche Funkkontrolldienste verfügte. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die schweizerische und die ausländische Spionageabwehr auf den illegalen, immer intensiver werdenden wechselseitigen Funkverkehr zwischen der Schweiz und der Zentrale in Moskau aufmerksam würde und versuchen würde, diesen zu unterbinden. (Blank/Mader, S. 335)

 

Die deutsche Spionageabwehr lokalisierte bereits spätestens im Juli 1941 die nachrichtendienstliche Spionagetätigkeit in der Schweiz. Darauf gelang es ihr, den verschlüsselten Funkverkehr mit der Zentrale in Moskau teilweise zu dechiffrieren. Sie wurde auf den Decknamen «Dora» aufmerksam und konnte den ominösen Akteur schlussendlich mithilfe von eingeschleusten Agenten mit dem in Genf lebenden, bestens bekannten Geografen Dr. Sándor Radó in Verbindung bringen. (Blank/Mader, S. 336)

 

Radó – das Haupt des Agentenrings – gehörte während des Zweiten Weltkriegs zu den am intensivsten gesuchten und verfolgten nachrichtendienstlichen Agenten der Sowjetunion. Der Unterschlupf in der neutralen Schweiz bot ihm keinen Schutz vor Verfolgung. (Blank/Mader, S. 334 f.) Deutschland und Italien forderten allein im Jahr 1943 fünfmal die Schweizer Regierung auf, Radó zu verhaften, und wiesen stapelweise «Belastungsmaterial» der Gestapo vor. (Blank/Mader, S. 370)

 

Nach dem erfolgreichen Coup gegen das Genfer Funker-Ehepaar (siehe Kernstory) und dem Fund des Chiffrierbuches bei einer weiteren Funkerin (Margrit Bolli) ging die Schweizer Sicherheitspolizei ab dem 19. November zu einer anderen Strategie über, um den letzten aktiven Funker in Radós Agentennetz in Lausanne zu überführen: Sie schaltete häuserblockweise den elektrischen Strom vorübergehend ab, um durch die allfälligen Funkunterbrechungen Rückschlüsse auf den genaueren Aufenthaltsort von Jim* zu ziehen. Als 15 bewaffnete Polizisten seine kleine Wohnung stürmten, hatte der stets geistesgegenwärtige Alexander Foote bereits damit angefangen, einen Teil seiner Funkunterlagen zu verbrennen, und seinen Funksendeapparat hatte er schon mit einem Hammer demoliert. Das Signal der letzten Funksendestation von Radós Spionagenetz in der Schweiz erlosch. (Blank/Mader, S. 373 f.)

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Quelle

Auswahl von Funksprüchen aus Radós Spionagenetz

An Direktor.

[…] Russlandangriff von Hitler definitiv auf den 22. Juni festgesetzt. Beschluss Hitlers erfolgte vor zwei Tagen. Meldung traf mit diplomatischem Kurier heute bei schweizerischem Generalstab ein. Dora.

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Radós Anweisung, um einer vermuteten Aufdeckung seines Netzwerks zuvorzukommen.

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Quelle

29. April 1943. An Direktor.

Von Long.

Bei der letzten Zusammenkunft von Hitler und Mussolini verweigerte Italien kategorisch die Erfüllung der Bitte um Entsendung neuer Truppen an die Ostfront. Italien erklärte auch es sei nicht interessiert am geplanten deutschen Angriff gegen die Türkei, denn Italiens Kräfte seien erschöpft.

Nach der Begegnung mit Mussolini hat Hitler eilig die Verbindung zu den übrigen Vasallen aufgenommen, damit diese nicht dem Beispiel Italiens folgen sollen. Die Staatsoberhäupter Bulgariens, Ungarns und Rumäniens versprachen bei ihrem Besuch in Deutschland, dass sie der Achse die Treue halten würden, jedoch nicht bereit seien, auch weiterhin sich aktiv am Krieg zu beteiligen.

Dora

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Quelle

12.6.1943

Geben Sie an Lucie Auftrag durch Teddy, sofort festzustellen alle Angaben über schweren Panzer, genannte Panther. Wichtig ist festzustellen:

1. Konstruktion dieses Panzers und technische Charakteristik von ihm.

2. Konstruktion seiner Eisenbetonwände.

3. Einrichtung des Feuerwerfers und Einrichtung für Vernebelung.

4. Dislokation der Betriebe, welche diesen Tank produzieren und wie hoch ist die Produktion monatlich.

Direktor

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Quelle

Anweisung aus der Zentrale in Moskau an Radó; nach den ersten Verhaftungen (Mikrofiche).

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Quelle

Stellte die nachrichtendienstliche Tätigkeit in der Schweiz eine Verletzung der Neutralität dar?

Die nachrichtendienstliche Tätigkeit in der Schweiz sei Selbstschutz gewesen, den auch die Gesetze der uneingeschränkten Neutralität erlauben würden, urteilt der deutsche Journalist Bernd Ruland:

Wenn es um die politische Existenz geht, wenn das Überleben in einer tödlichen Umklammerung zum wichtigsten Gebot für eine Nation geworden ist, dann kann und darf es keine Neutralität im klassischen Sinne mehr geben.

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Quelle

Der russische Autor und ehemalige Politiker David J. Dallin beantwortet die Frage wie folgt:

Die besondere Lage in der Schweiz machte das Land zum natürlichen Verbündeten [der Sowjetunion], Grossbritanniens und Frankreichs. Zwischen ihnen bestanden weder Verträge noch wurde die Zusammenarbeit öffentlich verkündet, da die Schweiz das Prinzip der Neutralität niemals aufgibt. Die politische Wirklichkeit ist jedoch stärker als Pakte und feierliche Erklärungen. Die öffentliche Meinung der Schweiz stellte sich fast einhellig hinter die Sache der anti-deutschen Koalition, während die Regierung, die nach aussen nicht Partei ergriff, von selbst gegen Hitler eingestellt sein musste. Der Generalstab, der die Vorbereitungen der deutschen Wehrmacht angespannt beobachtete, war bereit, mit jedem zusammenzuarbeiten und jeden zu unterstützen, der das Abenteuer Richtung Süden abbremsen konnte.

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Quelle

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